Diyarbakir: Stadt der Kontraste

»Tor der Nationen«: Lange Mauer, enge Gassen, große Armut, starker Wille

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Stadtmauer von Diyarbakir mit Urfa-Tor

















  
Es ist nicht das klassische Städte-Reiseziel in der Türkei, und doch ist Diyarbakir was die Sehenswürdigkeiten angeht nicht unbekannt. Wird doch die Altstadt von einer 5,5 Kilometer langen Festungsmauer aus schwarzen Basaltblöcken umgeben. Sie gilt als eine der längsten erhaltenen Stadtmauern der Welt. Die Redaktion der Globetrotter-Seiten hat Diyarbakir im Rahmen einer Journalistenreise des Kulturforums Türkei-Deutschland im April 2007 besucht. Dieses Kapitel befasst sich daher nicht nur mit den touristischen Aspekten sondern gibt auch Eindrücke und Auszüge aus Gesprächen vor Ort wieder.

Diyarbakir ist geprägt von extremen Kontrasten und beschert dem Besucher ein Wechselbad der Gefühle. Triste, graue Vorstädte, wo die Menschen in ärmlichen Verhältnissen leben müssen, auf der einen Seite, schicke Mega-Einkaufs-Center mit Nobel-Boutiquen und modernen Supermärkten unter schweizerAltstadtgasse in Diyarbakir Marke auf der anderen. Des weiteren eine kulturell, geschichtlich und architektonisch bemerkenswerte Altstadt, die sich nach und nach für den Tourismus herausputzt und sich auf den ersten Blick gar so pitoresk im Sucher der Kamera macht, auf den zweiten, genaueren Blick aber fällt die extreme Armut und die stellenweise desolate Infrastruktur ins Auge. Schließlich herrscht in der südostanatolischen Stadt eine politisch wie gesellschaftlich spannungsgeladene Atmosphäre.

Kontraste: Alte und neue Bausubstanz nebeneinander















Geschichte

Bis in die Zeit der Churriter, um 3000 v. Chr. reicht die Geschichte der Stadt zurück, die in der Folge von Urartäern, Assyrern und Persern besiedelt war. Die Römer machten 115 n. Chr. aus Amida, wie Diyarbakir zu jener Zeit hieß, zur Hauptstadt der Provinz Mesopotamien. Die Byzantiner mussten die Stadt gegen Angriffe der Sassaniden verteidigen. In dieser Zeit – um 349 &nadsh; ließ deshalb Kaiser Konstantin die Stadtmauer als Befestigung erbauen. 636 eroberten die Araber Amida, und mehrere Stämme hatten das Sagen: Omaijaden, Abassiden, Marwaniden und auch ein Stamm namens Beni Bakr. Sie gaben der Stadt ihren heutigen Namen: Diyar-Bakir, was soviel wie Land der Bakr bedeutet.

EEs folgten die Seldschuken (1085), Ortokoiden und im 13. Jahrhundert die Mongolen unter Dschingis Khans Enkel Hulaghu. Ende des 14. Jahrhunderts erkoren die Akkoyunlu, ein Turkmenenstamm Diyarbakir zu ihrer Hauptstadt. Sultan Selim I. Altstadt-Architektur in Schwarz und Weißgliederte die Stadt ab 1515 ins aufstrebende Osmanische Reich ein. Vielleicht wegen seiner multikulturellen und multi-ethnischen Geschichte trägt ein touristisches Faltblatt über Diyarbakirs Altstadt den Beinamen »Tor der Nationen«.

Erste Kurdenaufstände gab es Anfang des 20. Jahrhunderts, die Situation in Diyarbakir eskalierete in den 1980er und 90er Jahren. Die Stadt wurde zum Zentrum der türkisch-kurdischen Auseinandersetzungen. Bis Ende 2002 herrschte Ausnahmezustand. Seither ist es verhältnismäßig ruhig in der Stadt – wenngleich das so genannte »Kurdenproblem« nicht aus der Welt ist. Zwar wurde seitens der türkischen Regierung in Ankara auf Druck der EU mehrere entsprechende Reformen auf den Weg gebracht, doch die Praxis sieht anders aus. Das ist beim Besuch in Diyarbakir und Mardin und bei Gesprächen vor Ort mehr als deutlich geworden.

Wirkt trostlos: Landschaft südlich von Diyarbakir















Geographische Lage

Diyarbakir liegt in einem recht flachen Basaltplateau westlich des oberen Tigris (Dicle) am Schnittpunkt wichtiger Haupthandelsrouten, die Anatolien mit dem Iran, dem Persischen Golf und Mesopotamien verbinden. Aufgrund von künstlicher Bewässerung und mit Hilfe mehrerer Staudämme zwischen Euphrat und Tigris ist die Umgebung der Stadt trotz des heißen und trockenen Klimas recht fruchtbar. Hier ist seit gut 15 Jahren eine intensivere Landwirtschaft als zuvor möglich, heißt es in einem Faltblatt der Stadt. Das Land soll zu großen Teilen in Besitz von Clans sein. Getreide, Baumwolle und Tabak und vor allem Melonen werden angebaut. Die Mega-Melonen von bis bis zu 50 und mehr Kilogramm gelten als das heimliche Wahrzeichen von Diyarbakir. Ihnen ist an einer der Ausfallstraßen ein Denkmal gewidmet.

Plantagen südlich von Diyarbakir













Soziale Lage / Bildung

Die Stadt zählte 1990 rund 275.000 Einwohner, heute (2007) sind es laut Statistik 935.000 Menschen im Großraum Diyarbakir, wahrscheinlich sogar deutlich mehr als eine Million. Hunderttausende Landbewohner, die durch den türkisch-kurdischen Krieg obdach- und erwerbslosReges Treiben: Eine der Hauptstraßen in Diyarbakir wurden, leben heute in der Stadt. Land und Arbeit haben die meisten seither nicht mehr. Die Folge ist eine extrem hohe Arbeitslosigkeit mit all ihren Schattenseiten. So werden zum Beispiel Kinder von ihren Familien statt in die Schule zum Betteln oder Stehlen geschickt.

Blick über die Stadtmauer zum Uni-Gelände von Diyarbakir (am Horizont)















Oder aber sie versuchen ein paar wenige Türkische Lira mit dem Verkauf von Papiertaschentüchern zu verdienen. Angesichts der großen Schar dieser kleinen Händler, die einen etwa bei der Besichtigung der Großen Moschee umringt, wird der Tourist entweder dem penetranten Drängen nachgeben oder aber vor Verzweiflung davonlaufen. Letzteres hat jedoch nur bedingt Erfolg, denn die Taschentuch-Verkäufer sind hartnäckig – und das müssen sie wohl auch sein, wenn sie in dieser Stadt über die Runden kommen wollen. Ungleich bessere Startchancen haben die rund 20.000 Studenten, die an der Universität in Diyarbakir – weithin sichtbare Gebäudekomplexe östlich des Tigris – ausgebildet werden.

Wirtschaft / Infrastruktur

Hoffnung setzen die Verantwortlichen in Diyarbakir auf die EU und wirtschaftliche Investitionen aus dem Ausland, etwa aus Deutschland, wo viele Menschen aus Diyarbakir und Umgebung leben.Schuhmacher in der Altstadt Nennenswerte Investitionen und damit spürbarer wirtschaftlicher Aufschwung ist bislang ausgeblieben. Traditionelle Handwerker und Läden prägen das Stadtbild. Der Unternehmer und Vorsitzende des Rates des Industrie- und Arbeitgeberverbandes in Südostanatolien, Bedrettin Karaboga, der in Diyarbakir nach eigenen Angaben zwei Millionen Euro in seine Sockenfabrik »Göre Seve« investiert hat, sieht den Grund darin in der politischen Instabilität. 16 Jahre bewaffneter Auseinandersetzungen »gefallen uns nicht« macht er gegenüber den deutschen Journalisten klar. Investitionen müssten sicher sein.

Leben vor der Stadtmauer von Diyarbakir













Von der Europäischen Union fließen bereits Gelder in die südostanatolische Stadt Diyarbakir. So werde die Wiederherstellung der historischen Altstadt mit rund einer Million Euro gefördert, heißt es. Wer die Stadt nach Regen besucht, mag sich jedoch verwundert fragen, wo die Fördermittel wohl versickert sind: Aufgeweichte, matschige Gassen, wild verzweigte, frei baumelnde Stromleitungen, viele baufällige Häuser und vermutlich auch viel Nachholbedarf, was das Kanalnetz angeht – soweit die ersten, nicht verifizierten Eindrücke. Auf den Hauptstraßen der Altstadt wurde jedenfalls der Belag erneuert. Es scheint eben doch voran zu gehen – Schritt für Schritt für Schritt. Einige der historischen Gebäude wurden bereits saniert, eine unterirdisches Parkhaus wird gebaut und die Grünanlagen entlang der Stadtmauer sehen gar unerwartet gepflegt aus. Wie gesagt, dies sind Eindrücke eines nur kurzen Besuchs in der Stadt.

Imposant: Stadtmauer von Diyarbakir















Stadtmauer und Tore

Mächtig und trotz ihres hohen Alters recht gut in Schuss präsentiert sich die Stadtmauer, die auf fünfeinhalb Kilometer den Bezirk Sur, die 5,5 Kilometer lang: Stadtmauer von DiyarbakirAltstadt Diyarbakirs, umgibt. Kaiser Konstantin ließ sie aus schwarzem Basalt im Jahr 349 errichten, später wurde sie mehrfach erweitert und verstärkt. Sie gilt als eine der längsten erhaltenen Stadtmauern der Welt und hat mehrere Bastionen,Türme und Tore. Haupttore sind das Mardin-Tor im Süden, das Urfa-Tor im Westen, das Dag-Tor (auch Harput/Berg-Tor) im Norden und das Yeni-Tor im Osten, sowie die Nebentore Cift-Tor und Tek-Tor im Nordwesten, das Fatih-Tor und das Saray-Tor im Nordosten. Nord- und Süd-Tore sowie Ost- und West-Tore sind durch die Hauptachsen miteinander verbunden. Von diesen Straßen zweigt ein Gewirr von Sträßchen und Gassen ab.

Blick aufs Mardin-Tor













Bis zu fünf Meter dick und zwischen zehn und 15 Meter hoch ist die aus massiven Basaltblöcken erbaute Stadtmauer. Insbesondere an ihren Türmen und Bastionen sind anhand von Inschriften Reliefs oder Pfeilern die verschiedenen Epochen ihrer Entstehung zu erkennen. Besonders reichhaltige Dekorationen und Inschriften findet man am Yedi Kardes-Turm westlich des Mardin-Tors – über der Inschrift von 1208 findet man ein Relief mit zwei Löwen sowie das Symbol der Seldschuken, einen doppelköpfigen Adler –, am Ben-U Sen-Turm zwischen Urfa-Tor und Turm der Sieben Brüder – geschmückt mit Einst Kirchenraum, heute Platz für Veranstaltungen: Im Innern des Keci-Turms der StadtmauerKufik-Inschriften und Reliefs – sowie am Keci-Turm nahe dem Mardin-Tor. Der Keci-Turm ist der älteste und größte Turm der Stadtmauer. Laut Inschrift wurde er 1029 bis 1039 während der Merwanid-Dynastie renoviert. Von der Treppe hinauf zum Turm kann man in die gewölbte Halle hinein sehen. Einst fanden hier Gottesdienste statt, heute wird der von schlanken Säulen getragene Raum für Veranstaltungen genutzt.

Innenhof der Ulu-Moschee (Montage von drei Einzelfotos)











Große Moschee / Ulu-Moschee

Als eine der ältesten Moscheen der Türkei gehört die Ulu-Moschee (Große Moschee) zum Pflichtbesichtigungsprogramm im Bezirk Sur, der Altstadt. Wann genau das Gotteshaus als christliche Thomas-Kirche erbaut wurde, ist nicht genau überliefert. 639 wandelten moslemische Araber sie in die erste Moschee der Türkei um. Unter Seldschuken-Sultan Malik Schah wurde das Gebäude 1091 umfassend restauriert und auch später immer wieder restauriert, vergrößert beziehungsweise Eingang der Ulu-Moscheenach Zerstörungen etwa durch ein schweres Erdbeben 1115 oder verschiedene Brände wieder aufgebaut. Es handelt sich um ein stattliches Gebäude aus schwarzem Basaltstein, das einen 80 Quadratmeter großen Innenhof umgibt.Hinter der der südlichen Gebäudeseite, die vom Baustil am ehesten noch an die frühere christliche Nutzung erinnert, ragt ein quadratisches Minarett empor.

Zwei unmittelbar nebeneinander liegende Reinigungsbrunnen vor dem Eingang der Moschee zieren den Innenhof, einer mit viereckigem, einer mit achteckigem, pyramidenförmigem Dach. Letzterer stammt von 1849 und hat behauene Marmornischen. Der Persische König Ismail zerstörte bereits 1507 die Grabstätten im Innenhof. Die Fassaden wirken wie ein architektonischer Stilmix: Spitzbogen, Rundbogen, Säulen und verschnörkelte Friese. An der nördlichen Seite des Innenhofes schließt sich die Mesudiye-Medresse an. In den Jahren 1198/1199 wurde mit ihrem Bau begonnen, um 1223/1224 wurde das zweistöckige Gebäude mit vielen interessanten architektonischen Details fertiggestellt. Sie war eine der ersten theologischen Schulen in Anatolien. Auf der Ostseite gegenüber der Ulu-Moschee ließ Vezirzade Hasan Pasha 1573 eine zweistöckige Karawanserei samt Hof und von einem Brunnen mit Kuppeldach bauen. Heute werden hier Teppiche verkauft.

Vier Beine: Minarett der Kasim Padisah Moschee in der Altstadt















Kasim Padisah Moschee

Wer siebenmal unter den vier Stützen hindurchgeht, bekommt einen Wunsch erfüllt. Das sagen die Einheimischen über den am Rand einer schmalen, unscheinbaren Gasse stehenden quadratischen Minarett-Turm der Kasim Padisah Moschee. Die Moschee, die einige Meter von ihrem »vierbeinigen« Minarett entfernt unscheinbar ihr Dasein hat, wurde im 15. Jahrhundert von Sultan Kasim erbaut. Die vier zwei Meter hohen Säulen sollen, so ist in einem Faltblatt über die Stadt Diyarbakir nachzulesen, die vier Konfessionen des Islam und der Minarett-Baukörper mit seinen schwarz-weiß abwechselnden Steinreihen die Islamische Religion selbst symbolisieren. Die Kasim Padisah Moschee befindet sich in der Strasse Yenikapi.

Typische Altstadt-Architektur: Geburtshaus des Dichters Cahit Sitki Taranci















Altstadt-Architektur

Nur wenige Schritte von der Großen Moschee im Herzen der Altstadt entfernt liegt in einer Seitengasse das Geburtshaus des türkisch-kurdischen Dichters Cahit Sitki Taranci. Es gilt als eindrucksvolles Beispiel typischer alter Altstadt-Architektur von Diyarbabik-Sur. Der Gebäudetrakt Puppen symbolisieren das Leben im Frauentrakt dieses typischen Altstadthausdatiert auf 1820 und liegt um einen Innenhof herum. Er verfügte über einen separaten Trakt für Männer (Selamlik) und einen Bereich für Frauen (Haramlik). Lediglich Letzterer ist erhalten geblieben. Die zweistöckigen Fassaden zum Innenhof hin bestehen aus schwarzem Basaltgestein, das mit weißen Steinen zu kunstvollen Verzierungen kombiniert ist sowie einer Reihe von Spitz- und Rundbögen.

Typische Altstadt-Architektur in Schwarz und Weiß: Geburtshaus des Dichters Cahit Sitki Taranci















In dem Gebäude ist das Cahit Sitki Taranci Museum untergebracht. Es zeigt einige Exponate aus dem Leben des Dichters und spiegelt das Leben jener Zeit wider. Verschiedene ethnografische Schwarz-weiße Wände: In diesem Raum des Altstadthauses herrscht konstante TemperaturStücke komplettieren die Sammlung. Beim Betreten mancher Räume sorgen Puppen für einen authentischen Eindruck. Einblicke sind auch möglich in Hamam und Küchenräume sowie in einen konstant temperierten Aufenthaltsraum im Untergeschoss.

Kirchen und Ruinen

Diyarbakir war Heimat vieler Ethnien und vieler Religionen. Neben einer stattlichen Anzahl an Moscheen zeugen im Altstadt-Bezirk Sur heute mehrere Kirchen beziehungsweise deren Ruinen davon. So lebten einst viele Christen in der Stadt – Gregorianer (Armenier), Yakubi (Suryani-Kadim), Orthodoxe (Griechen), Assyrer (Nasturianer) und Keldaner –, doch ihre Zahl verringerte sich während des frühen 20. Jahrhunderts. Von den vielen Kirchen sind nur wenige erhalten geblieben. Will man sie besuchen beziehungsweise besichtigen, muss man meist um Einlass bitten, denn sie verbergen sich im Gassengewirr der Altstadt hinter hohen Mauern und schlichten Eingangstüren – und nicht immer weist ein Schild auf sie hin, so dass man sich nicht selten auch durchfragen muss.

Fassade der Marien-Kirche mit Reliefschmuck im schwarzen Basaltstein















Kirche der Heiligen Maria

Teile der Kirche der Heiligen Maria (Merymen Ana Kilisesi) in der Ana-Straße im Westen der Altstadt stammen aus dem 3. Jahrhundert. Über die Jahre wurde sie mehrfach Armenisch-arabische Einflüsse in der Marien-Kircherestauriert, so dass nicht viel originale Bausubstanz geblieben ist. Den Kirchenkomplex, in dem fünf Familien leben, erreicht man durch ein Tor. Die Marienkirche ist Gotteshaus der syrischen und assyrischen Jakobiten. Sie ist eine der wenigen christlichen Kirchen in der Stadt, die als solche genutzt wird. Die Fassade mit ihren schwarz-weißen Spitzbogenfenstern ist verziert mit zwei runden Reliefs.

Innenhof der Marien-Kirche mit Brunnen und Säulen















Vom Innenhof aus betrachtet, fällt das Mauerwerk mit den weißen Fugen und darin eingelassenen Bögen und Bändern in rötlichen Steinen auf. Säulen und Rundbogen bilden einen überdachten Kirchenzugang. Schwarz-weiße Basaltwände mit armenisch-arabischen Einflüssen sowie weitere Reliefs und Schriftzüge verzieren Blick auf die Altarnische in der Marien-KircheDurchgänge und Türstürze. Durch eine alte Doppel-Holztür gelangt man in den Kirchenraum, der von einer mächtigen freitragenden Kuppel dominiert wird. Durch die kleinen Fenster in der Kuppel fällt nur wenig Licht ins Kircheninnere.

Rund um die Kuppel tragen Steinpfeiler Spitzbogen, Priester der Marien-Kirchehinter denen sich mehrere Nischen befinden. Gegenüber der Eingangstür befindet sich die größte Nische. Marmorsäule in der Marien-KircheIn dieser steht ein stattlicher, reich verzierter Altar aus Holz. Bemerkenswert sind auch die zwei etwa hüfthohen Marmorsäulen am mittleren Durchgang zwischen den Bänken. Sie bilden den Abschluss eines Trenngeländers und stammen vermutlich aus einem der früheren Kirchenbauten. Will man sich übrigens im Innern der Kirche umgucken, so bittet der freundliche Priester die Besucher, Kirchenmuseum in der Marien-Kirche: Altaraufsatzzuvor die Schuhe auszuziehen, um die Teppiche am Boden zu schützen. Bei einer Führung durch die Marienkirche bekommt der Besucher auch die Kirchenschätze zu sehen, die in einem kleinen Kirchenmuseum aufbewahrt werden. Darunter ist ein sehenswerter, kunstvoll geschnitzter Altaraufsatz aus Holz sowie alte Taufbecken.

Keldani-Kirche

Keldani-Kirche















Steintafel mit Schrift in der Keldani-KircheEinst Sitz des Patriarchats, findet in der aramäischen Keldani-Kirche, auch Mar Petuin Keldani genannt, an der Yeni Kapi Straße heute nur noch einmal im Monat ein Gottesdienst durch einen Priester statt. Zu klein ist die Gemeinde inzwischen, aber immerhin gebe es bei ihrer Religionsausübung keine Einschränkungen, sagt ein älterer Herr, der als Mitglied der katholisch-karadäischen Gemeinde gerade ein paar Besucher in das Gotteshaus hereingelassen hat. Auch hier ist von der Gasse aus kaum zu erkennen, dass sich hinter hohen Mauern und Toren eine Kirche verbirgt.

Heiligenbilder in einer Nische der Keldani-KircheAltar-Nische in der Keldani-Kirche















Ihr genaues Alter ist nicht bekannt, vermutlich wurde die Keldani-Kirche aber im 17. Jahrhundert errichtet. Als Baumeterial wurde wie für viele andere Gebäude Diyarbakirs schwarzer Basaltstein. Säulenbogen unterteilen die vier Kirchenschiffe, rund um den Innenraum befinden sich mehrere Nischen mit Heiligenbildern, ein diamantförmiger zweifarbiger Steinfußboden ist vor der Abszisse zu sehen. Im Innenhof neben der Keldani-Kirche öffnet sich der Blick auf die Nachbargrundstücke hinter den hohen Mauern – dort ist unter anderem eine Ruine mit hohen Fensterbögen zu sehen, die möglicherweise zu einem früheren Kirchenbau zählten.

Ruine neben der Keldani-Kirche















Surp Giragos Armenische Kirche

Kaum mehr als die Grundmauern sind von der Georgs-Kirche geblieben, die armenische Surp Giragos Kirchein der Yeni Kapi Straße, unweit der Keldani-Kirche. Hat man den Zugang zum Gelände Handwerkerstempel an einem Fenstergitter der Georgs-Kirchegefunden, wird schnell klar, wie groß und prächtig dieses Gotteshaus einst gewesen sein muss. Sie soll die größte armenische Kirche Anatoliens gewesen sein. Heute wächst Gras zwischen den Mauern, Fenster und Türen der Außenmauern sind vergittert oder mit Steinen verschlossen – die Ruine ist notdürftig abgesperrt. Einige Kinder nutzen das Gelände zum spielen. Dennoch findet man einige sehenswerte Details, schaut man sich um: die Handwerkerstempel etwa, die an den Gitterfenstern angebracht sind und die sozusagen die Signatur des Handwerkers sind.

Armenische Georgs-Kirche: Nur noch eine Ruine















Weiterhin fallen zwei Reliefs im Mauerwerk über dem Kirchenportal auf. Das eine aus hellem Stein zeigt Symbole und Schriftzeichen, das Reliefs in den Mauern der Georgs-Kircheandere aus dunklem Basaltstein zwei Tierfiguren. Es soll sich um Reliefs der christlichen und der Pagan-Periode handeln. Einen Blick wert ist das Loch über dem mittleren Bogen oberhalb des Hauptaltars – es hat die Form eines armenischen Kreuzes.

Auf dem Gelände der Georgs-Kirche















Wann die Georgs-Kirche ursprünglich erbaut wurde, ist nicht klar. Die wenigen Angaben, die sich recherchieren lassen reichen vom 4. Jahrtausend bis Mitte des 16. Jahrhunderts. Offenbar ist sie mehrfach Bränden zum Opfer gefallen und wieder aufgebaut worden. So brannte die Kirche 1881 komplettEhemaliges Portal der Georgs-Kirche nieder und 1883 erfolgte der Wiederaufbau. Während des Ersten Weltkrieges sollen hier deutsche Offiziere ihr Hauptquartier gehabt haben. 1915 soll ihr viereckiger, eleganter Uhrturm aus Stein demoliert worden und später durch einen schlichteren aus Holz ersetzt worden sein.In den folgenden Jahren soll der bau unterschiedlichen Zwecken gedient haben. In den Jahren 1960, 1965 und 1986 soll die Armenische Gemeinde das Kirchengebäude zum Teil restauriert haben. 1988 und 1989 sollen Böden und Holzdach zusammengebrochen sein. Seither erfolgen Sicherungsmaßnahmen, und es heißt, die Ruine soll in Zukunft als Kulturzentrum dienen.

»Zehn-Augen-Brücke« über den Tigris















Tigris-Brücke und 40er-Berg

Etwa drei Kilometer südlich der Altstadt überspannt eine sehenswerte Brücke aus behauenem Basaltstein den Tigris. Die »Zehn-Augen-Brücke«, wie sie von der Bevölkerung genannt wird, hat zehn Bogen unterschiedlicher Weite. Sie wurde 1065 von Übeydoglu Yusuf während der Merwanid-Dynastie erbaut, heißt es in einem touristischen Faltblatt der Stadtverwaltung. An den Ufern des Tigris grasen Ziegen und Schafe. Folgt man der Straße den Hügel hinauf, komme man auf den so genannten 40er-Berg, erklärt der Guide der Journalistengruppe. Der Name stamme von einer Kirche, die es dort gegeben habe. Die Tigris-Brücke spiele noch heute eine wichtige Rolle: Jedes Jahr zum Opferfest würden die Menschen ihre Wunschzettel von hier in den Fluss werfen.

»Zehn-Augen-Brücke« über den Tigris










Gespräch mit Abdullah Demirbas

Etwas schönes kann sich nur entwickeln, wenn man sich dafür einsetzt". Der, der das im April 2007 gesagt hat, ist Abdullah Demirbas, Bürgermeister des Bezirks Sur, der Altstadt von Diyarbakir. Wenige Monate später wurde der Soziologe seines Amtes enthoben. Er hatte sich offenbar – mit Unterstützung der Mehrheit seines Stadtrates – zu viel eingesetzt.Abdullah Demirbas: Vom Amt enthobener Bürgermeister von Diyarbakir-Sur Die Verantwortlichen in Ankara werfen ihm – nicht zum ersten Mal – unter anderem Separatismus vor. Im Gespräch mit einer deutschen Journalisten-Gruppe, an dem auch die Redaktion der Globetrotter-Seiten beteiligt war, berichtet der DTP-Bürgermeister über die Gründe. Die pro-kurdische DTP war im April 2007 mit 14, die AKP mit acht und die sozialistische SMP mit drei Abgeordneten im Stadtrat von Sur vertreten.

Laut einer Umfrage unter etwa 75.000 Menschen in Sur würden 72 Prozent zuhause Kurdisch sprechen, 24 Prozent gaben Türkisch an, drei Prozent Keldanisch/Aramäisch und ein Prozent Arabisch. »Eine erstaunliche Vielfalt«, kommentiert Demirbas und ergänzt: »Um für die Menschen gute Arbeit zu leisten, müssen wir ihre Sprache sprechen.« Deshalb hatte der Stadtrat unter Federführung von Demirbas im Oktober 2006 beschlossen, städtische Dienstleistungen wie Broschüren nicht nur in der offiziellen Landessprache Türkisch sondern auch in kurdisch, assyrisch, keldanisch und englisch anzubieten. Die Folge dieser »multilingualen Kommunalverwaltung«: Das Innenministerium in Ankara warf Demirbas Verfassungsbruch vor, betrieb dessen Entlassung als Bürgermeister und die Auflösung des Stadtrates von Sur. Demirbas spricht von 16 weiteren Verfahren gegen ihn.

»Gesellschaftliche Desinformation«

Demirbas bestreitet sämtliche Vorwürfe. Seinen Kritikern hält er im Gespräch mit den deutschen Journalisten zugkräftige Argumente entgegen. Die etwa drei Millionen Türken in Deutschland würden fordern, ihre Sprache in Anspruch nehmen zu dürfen. Sie wüden aber in der Türkei den Kurden ihre Sprache verbieten wollen. »Das ist gegen die Menschenrechte« betont der agile Bürgermeister. Und dass es wunderbar funktioniere, die Verschiedenartigkeit der Menschen zu akzeptieren, dafür sei die EU das beste Beispiel – deren Mitglieder würden 27 Sprachen sprechen, so Demirbas.

Trotz schwieriger Lebensbedingungen guter Laune: Jungs in Diyarbakir















Im weiteren Verlauf des Gespräches findet der Bürgermeister von Sur noch viele deutliche Worte, kritisiert etwa, es gebe in der Türkei »Kreise, die Demokratie nicht wie wir sehen«, spricht von »gesellschaftlicher Desinformation«. »Nur weil in der Türkei Gesetze verändert werden, heißt das nicht, dass sie auch umgesetzt werden« so Demirbas weiter. Menschen würden bestraft und angeklagt, obwohl sie im gesetzlichen Rahmen handeln würden. Demirbas erklärte sich einige Wochen später bereit, sein Amt wie im Beschluss des obersten Verwaltungsgerichts der Türkei gefordert formell an den stellvertretenden Gouverneur zu übergeben. Er kündigte an, bei den anstehenden Kommunalwahlen wieder zu kandidieren.

»Repression« und »Staatsterror«

Die Amtsenthebung Demirbas und die Auflösung des Stadtrates sei »Staatsterror«, kritisiert einen Tag später die Sozialistische Partei Kurdistans (PSK). Das Verfahren zeige eindeutig, »dass es sich bei den von der AKP-Regierung durchgeführten Gesetzesänderungen im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen nur um Augenwischerei handelt«. Unterstützung erfährt der seines Amtes enthobene Demirbas von allen 54 DTP-Bürgermeistern in der Türkei. Diyarbakirs Oberbürgermeister Osman Baydemir verkündete folgende gemeinsame Erklärung: »Niemand sollte daran zweifeln, dass wir sowohl im Alltagsleben als auch bei bestimmten Dienstleistungen die kurdische Sprache, die Teil des Reichtums der Türkei ist, weiterhin benutzen werden. Wenn es eine Straftat darstellt, kurdisch zu sprechen, dann begehen wir diese Straftat täglich und werden es weiter tun.«

Auch Baydemir – wie Demirbas gehört der Oberbürgermeister von Diyarbakir der DTP an – ist Repressalien ausgesetzt. Unter anderem musste er sich in einem Strafverfahren verantworten, weil er eine mehrsprachige Neujahrs-Glückwunschkarte verschickt hatte, in der auch das kurdische Newroz erwähnt worden war. Etwa 60 Ermittlungsverfahren sollen gegen ihn anhängig sein, heißt es in einem Hintergrundbericht von Jutta Hermanns auf der Website des »Demokratischen Türkeiforums«. Auch ihn traf die Redaktion der Globetrotter zusammen mit der Gruppe deutscher Journalisten im April 2007.

Trabantenstadt in Diyarbakir













Armut und Arbeitslosigkeit

In Baydemirs Vision von Diyarbakir ist die Stadt ein Kunst- und Handelszentrum im mittleren Osten, ganz so wie sie es in ihrer 7000-jährigen Geschichte bereits gewesen sei. Vom Wohlstand ist die südostanatolische Provinzhauptstadt indes noch weit entfernt. Das zeigen die Zahlen, die der Oberbürgermeister nennt: Die rund 935.000 Einwohner, die die Statistik in der Stadt und im Umkreis Taschentuchverkauf statt Schulbesuch: Kind in Diyarbakir-Survon 45 Kilometern aufführt, würden ein »ernsthaftes soziales Trauma« erleben. 60 Prozent der erwerbsfähigen Menschen seien arbeitslos, sagt Baydemir. Und: es gebe zwar eine achtjährige Schulpflicht, doch das Problem seien nicht die gesetzlichen Gegebenheiten sondern die ökonomische und soziale Situation der Familien, erklärt er. Viele Eltern könnten es sich nicht leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken.

Die Armut ist im Stadtbild denn auch allgegenwärtig. Diyarbakir liege in der Wirtschaftskraft an 65. Stelle der türkischen Städte. Baydemir spricht von Zwangsumsiedlungen, und dass die Menschen in ihren Dörfern eine Basis gehabt hätten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In der Stadt hätten sie diese hingegen nicht. Die große Armut und die sozialen Probleme brächten auch Kriminalität mit sich, muss der Oberbürgermeister zugestehen. Auch die Atmosphäre der Gewalt, die viele Jahre in der Region geherrscht habe, sei ursächlich für die sozialen Probleme. Ein Hemmnis sei, dass alles zentral von Ankara geregelt werde. Um an Geldmittel zu kommen, so Baydemir, »müssen wir das Planungsamt, das Schatzamt und das entsprechende Ministerium überzeugen«.

Momentaufnahme: Plüschbezogenes Moped in der Altstadt von Diyarbakir















Kampf gegen Windmühlen

Es werde versucht, so gut es geht, die Situation der Menschen zu verbessern. Beispielsweise würden 400 Kinder Stipendien erhalten, damit sie zur Schule gehen können, erzählt Baydemir. Darüber hinaus bekämen 400 Jugendliche Stipendien für ein Studium. »Wir haben eine Universität mit 20.000 Studenten«, Im Argen: Infrastruktur in Diyarbakir-Sursagt das Stadtoberhaupt. Angesichts dieser beträchtlichen Kapazität gebildeter und arbeitswilliger junger Menschen würde sich Baydemir Investoren in Diyarbakir wünschen. Potentiellen Investoren würden laut Baydemirs Ausführungen eine Reihe von Vergünstigungen gewährt: ein kostenlose Grundstück, fünf Jahre Steuerbefreiung und reduzierte Beiträge für Strom und Versicherungen. Allerdings, so ergänzt der Oberbürgermeister, würden diese Konditionen auch für 49 andere Städte gelten, die weiter entwickelt seien.

Trotz aller Hemmnisse und schwierigen Voraussetzungen kämpft Baydemir unermüdlich für seine Vision für Diyarbakir, wirbt um Investitionen und hofft auf Unterstützung aus Europa. Hört man dann allerdings, was Baydemir auch sagt – »Wir brauchen eine ökonomische Stabilität, die einer politischen Stabilität bedarf, die auf einer friedfertigen Lösung auf Basis eines gleichberechtigten Dialogs des Kurdenproblems beruht« – dann mutet das ein wenig wie ein Kampf gegen Windmühlen an. Große Hoffnungen setzt der DTP-Oberbürgermeister in einen EU-Beitritt der Türkei.

Blick auf Diyarbakir-Sur















Informationen:

Nähere Informationen über Diyarbakir und Hintergründe über die aktuelle Lage gibt es im Internet zum Beispiel unter folgenden Adressen:
Demokratisches Türkeiforum Hintergrundbericht von Jutta Hermanns über »Die Türkei und die Minderheitenrechte am Beispiel der kurdischen Sprache«
Erklärung der DTP-Bürgermeister
Erklärung der Sozialistischen Partei Kurdistans

Stimmungsvoll: Wolken über Südostanatolien

















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